Paleo Titel

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Im Gespräch mit Peter Rustemeyer (Autor von „Paleo“) über Bagger, Barbaren und Mammuts.

Wir hatten kurz vor der SPIEL.digital, im Oktober 2020, noch die Gelegenheit, ein wenig mit Peter Rustemeyer zu „plaudern“. Seine Spiel-Neuheit „Paleo“ (erscheint bei Hans im Glück) ist in diesem Herbst in aller Munde und jetzt möchten wir natürlich etwas mehr erfahren über das Spiel, den Autor und der Geschichte dahinter. Corona bedingt konnten wir uns leider nicht treffen, daher haben wir munter E-Mails hin und her geschickt. Was dabei herauskam, ist sehr spannend. Wir haben uns riesig gefreut, dass es mit diesem Interview noch so kurzfristig geklappt hat.

 

Autor Peter RustemeyerOliver: Peter, zunächst einmal danke, dass auch du noch die Zeit vor der SPIEL.digital gefunden hast und uns ein wenig Rede und Antwort stehst. Doch zuerst, erzähl doch mal ein wenig über dich. Ich denke, viele kennen den Autor Peter Rustemeyer bisher noch nicht.

Peter: Ich bin 38 Jahre alt und arbeite als Archäologe im Raum Köln, stehe also – flapsig ausgedrückt – die meiste Zeit irgendwo auf einem Feld herum, schaue zu, wie ein Bagger alte Dinge zertrümmert, damit da ein Haus oder eine Straße hingestellt werden kann, und rette, was ich halt so retten kann.

Dass der Autor Peter unbekannt ist, das ist nicht verwunderlich, ich erfinde erst seit ein paar Jahren eigene Spiele.

Philip: Was war dein erstes Spiel?

Peter: Angefangen habe ich mit absurden Materialschlachten nicht unter 12 Stunden Spieldauer und 50 Seiten Regeln, wie das Jungs halt so machen. Mit denen habe ich dann ungefragt alle großen Verlage belästigt, und nicht ganz unerwartet kamen erstmal nur Absagen. Aber ich hatte Feuer gefangen und wollte das Autorenhobby nun etwas professioneller angehen.

Oliver: Was hast du dann geändert, um „erfolgreicher“ zu werden?

Peter: Zunächst habe ich meine Klopper in eine Schublade gesteckt und den Schlüssel weggeschmissen, meine neuen Spielideen wurden schlanker, reifer, markttauglicher.

Dann habe ich eine ganze Menge Networking betrieben. Es hilft einfach ungemein, wenn man die Leute kennt, und noch viel mehr, wenn sie dich kennen. Also bin ich auf diverse Autorentreffen und Messen gefahren und habe geschaut, wer da so ist und was die da machen. Nebenher habe ich einen kleinen Blog mit Rezensionen und Autorentagebüchern gefüllt, sozusagen als Flankenangriff auf die Verlage.

Oliver: War diese Guerilla-Taktik erfolgreich?

Peter: Meine Hartnäckigkeit führte zu einer ersten kleinen Veröffentlichung „Barbaria“ (Hobbyworld), und die wiederum dazu, dass ich mich beim Cliquenabend Gathering einnisten konnte. Hier sitzen gefühlt alle Spieleverlage eine Woche lang in einer Finca auf Mallorca herum und spielen wie die Verrückten Prototypen, jetzt konnten sie nicht mehr vor meinen Ideen davonlaufen. Ich konnte Feuerland für eine deutsche Version von „Barbaria“ gewinnen, und ich habe „Paleo“ erfolgreich meinem Wunschverlag Hans im Glück untergejubelt.

Philip: Kannst du für die zwei oder drei Leser, die „Barbaria“ noch nicht kennen, das Spiel kurz vorstellen?

Peter: Das ist ein kurzes Karten- und Würfelspiel, angesiedelt in der ziemlich albernen Welt der 80er Jahre Barbarenfilme. Wenn du dran bist, deckst du Karten mit Würfelaufgaben auf, suchst dir eine davon aus, und wenn du die Probe bestehst, bekommst du Punkte oder Fähigkeiten, die dich zukünftige Würfe manipulieren lassen. Das Problem ist nur, dass alle von dir abgelehnten Aufgaben als kleine Boni in die Runde verteilt werden, die anderen Barbaren werden also stärker, je länger du nach einer passenden Karte suchst.

Oliver: Klingt interessant, doch zurück zu Paleo. Woher kam die Idee zu diesem Spiel?

Peter: Ich hatte im Spiel „This War Of Mine“ eine Karte aufgedeckt, die ungefähr sagte: „Wenn du das Haus untersuchen willst, musst du zwei Karten unbesehen ablegen“. Das fand ich total interessant, dass ich etwas bekomme, aber dafür Karten abgeben muss, die ich nicht mehr ankucken darf. Ich fand es aber zu „versteckt“ unter diversen anderen Mechanismen und dachte, dass sich doch bestimmt ein Spiel zusammenstricken lässt, das quasi nur daraus besteht.

Ich habe dann als ersten Prototypen einen dicken Kartenstapel mit simplen Rohstoff-Sammel-Elementen gebaut. Du deckst eine Karte auf, und die sagt zum Beispiel: „Gib vier Karten ab, wenn du ein Holz willst“. Jetzt kann es sein, dass dir die nächste Karte das Holz vielleicht für nur eine Karte gegeben hätte. Aber möglicherweise ist es auch gar nicht so schlecht, vier Karten loszuwerden, weil da vielleicht böse Karten dabei sind. Vertrau deinem Bauch. Kuck einfach mal, was passiert. Oder deck einfach die nächste auf, so lange, bis du eine findest, die dir gefällt, oder eine, die dich auffrisst.

Paleo Prototyp RustemeyerOliver: Und das Steinzeit-Thema, stammt das von dir oder von der Redaktion bei Hans im Glück?

Peter: Das Steinzeitthema hatte ich sehr früh drauf gepackt, und dadurch schrieben sich eine Menge Karten fast von alleine: Wenn du Holz und Stein kombinierst, kriegst du einen Speer. Um ein Reh zu jagen, brauchst du einen Speer. Für ein Mammut brauchst du mehr Speere, kriegst aber auch mehr Futter. Wenn das Mammut erlegt ist, fliegt die Karte aber auch raus, weil es halt tot ist. Die meisten klassischen Deckbuilding-Elemente ließen sich thematisch einbinden.

Diese Wechselwirkung aus Mechanik und Thema war ein absoluter Glücksfall, weil das nicht nur einfach zu entwickeln, sondern auch sehr greifbar für die Spieler war. Es fiel ihnen leicht, in die Mechanik einzutauchen, und sie erlebten spürbar Geschichten, ohne dass ich vorzulesende Texte auf Karten schreiben musste. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich da etwas Tolles in den Händen halte. „Geschichten durch die Mechanik erleben“ ist einfach bockstark.

Oliver: Das bedeutet, du hast jetzt begonnen, auf dem Thema aufzubauen und deinen Prototyp zu entwickeln und dabei das Entdecken in dem Mittelpunkt zu stellen. Wie ging es mit dem Prototyp dann weiter?

Peter: Ich habe das Spiel dann so angelegt, dass man den Kartenstapel mehrfach durchspielt, damit die Spieler die Welt so langsam kennen lernen, und durch ihre Aktionen verändern. Sie entdecken neue Karten, kaufen hilfreiche Karten dazu, böse und gute Karten fliegen teilweise raus, neue unbekannte Bedrohungen und Aufgaben wandern hinein. Paleo war jetzt ein kooperativer Deckbuilder mit einer deftigen Prise Glück. Das war dann der Prototyp, den ich freudig herumgezeigt habe.

Oliver: Als du dir dann mit Hans im Glück einig warst, wurde doch bestimmt noch viel an den Stellschrauben gedreht, oder?

Peter: Als Hans im Glück die Entwicklung von Paleo übernahm, wurde schnell klar, dass sie noch mal deutlich mehr wollten. Zum einen war ihnen das blinde Herumstochern im Kartenstapel zu unkontrolliert und zufällig, zum anderen wünschten sie sich eine Art Kampagne, die Spieler sollten ihre Fortschritte in die nächste Partie mitnehmen dürfen.

Oliver: Wie lange habt ihr, also Du und der Verlag, an Paleo dann noch gearbeitet, und wie lange dauerte es dann bis zur fertigen Version?

Peter: Zwei Jahre. Wir haben zunächst ungefähr ein Jahr lang an verschiedenen Kampagnenkonzepten herumexperimentiert, aber das System gab das einfach nicht her. Wir konnten – aufgrund der vielen unbesehen abgeworfenen Karten – einfach nicht sicherstellen, dass die Spieler gewisse Meilensteine auch wirklich sicher erreichen würden. Die eine Spielegruppe erfand den Speer in der ersten Runde, die andere brauchte fünf Partien und begegnete dabei andauernd Viechern, in die sie zig Speere hätten reinstecken sollen. Auch das „Zwischenspeichern“ war handwerklich gar nicht so einfach umzusetzen. Letztendlich haben wir die Idee aufgegeben, dass da ein wild mutierender Kartenstapel in der Mitte liegt, und uns für ein leichter zu kontrollierendes modulares System entschieden. Die Spieler fangen jedes Mal neu an, aber sie nehmen natürlich einen gewissen Erfahrungswert aus den vorherigen Partien mit, so dass wir ihnen in den Modulen immer härtere Aufgaben stellen können.

Material von paleoOliver: War dann zu diesem Zeitpunkt das Projekt „Paleo“ gefährdet und drohte zu scheitern? Hört sich ja nach einem schweren mechanischen Problem an.

Peter: Das Problem war nicht das Spiel, sondern wir. Als würde man unbedingt eine Hose als Pulli tragen wollen. Das funktioniert nicht wirklich, aber das liegt dann nicht an der Hose!

Zum Glück haben wir unterwegs für das zweite Problem, den Spielern etwas mehr Kontrolle über ihre Züge zu gewähren, und trotzdem das Abenteuer des Ungewissen zu erhalten, einen wunderbaren Weg gefunden. Und wie so oft im Leben war die Lösung gar nicht so schwer. Wir haben die Rückseiten der Karten genutzt, um mal ungefähre, mal sehr konkrete Hinweise auf die Vorderseite zu liefern: Wenn du Holz willst, deckst du vielleicht eher eine Waldkarte auf als eine Bergkarte. Ob du wirklich Holz bekommst, steht natürlich auf einem anderen Blatt, aber du hast nun eine Entscheidungsgrundlage, einen groben Erwartungswert, statt einfach nur blind eine Karte aufzudecken. Wenn wir wirklich sicherstellen wollen, dass du eine Karte findest, steht auf der Rückseite genau, was vorne drauf ist. Vorher war das Mammut irgendwo im Stapel, jetzt ist es halt auf der Karte, die hintendrauf ein Mammut hat.

Oliver: Und das war bestimmt genau der Ansatz, der die Initialzündung zum fertigen Mechanismus gab.

Das heißt, das war der Zeitpunkt, an dem ihr angefangen habt das Spiel ausgiebig zu testen und daran zu feilen. Denn was am Ende jetzt dabei herausgekommen ist, sieht jedenfalls richtig klasse aus. Denn es kamen ja noch echt tolle Illustrationen dazu. Hattest du bei der grafischen Gestaltung auch mitgearbeitet?

Peter: Nur beratend, ich zahle ja auch nicht die Rechnung dafür.

Wir haben uns letztes Jahr in München zusammengesetzt und sind zig verschiedene Spielecover und Illustratorenseiten durchgegangen, bis wir uns auf einen ungefähren Stil einigen konnten. Außerdem hatten wir Illustratoren gebeten, uns Mammuts zu malen. Das prächtige Ding auf dem Cover von Paleo sieht ziemlich genau so aus wie der Siegerentwurf.

Ansonsten hab ich natürlich immer interessiert hingekuckt, was Grafiker und Illustrator so treiben, und natürlich auch meinen Senf dazu abgegeben. Oft konstruktiv, aber manchmal hab ich meinen armen Redakteur fast in den Wahnsinn getrieben. Tschuldigung.

Paleo BoxPhilip: Das Fertige Spiel sieht auch wirklich gut aus und die Cover-Grafik ist bockstark. Da wird man wirklich eingeladen zu spielen. Aber dann – dann kommen die Probleme, die man als Spieler hat. Uns erging es beim Spielen oft so, dass eine Karte fehlte, um genügend Nahrung zu erhalten oder ein Teil des Wandgemäldes fertigzustellen. Das kann doch nicht Zufall sein?

Peter: Ich würde jetzt gerne schreiben, dass wir das alles minutiös geplant haben, inklusive der einen fehlenden Karte in genau dieser Situation.

Aber in Paleo passiert einfach viel, was sich von unserer Seite her nicht präzise steuern lässt. Etwa an welcher Position welche Karte in wessen Stapel landet. Oder ob die Spieler für irgendeine Karte die erwünschten 5 Speere haben oder nicht. Oder welche und wie viele Karten in welcher Runde aus dem Stapel rausfliegen und dann natürlich in Folgerunden fehlen.

Entwicklung und Balance funktioniert hier nur über Trial & Error. Wir basteln ein grobes Kartendeck, das ungefähr leisten könnte, was wir uns wünschen. Dann spielen wir das und kucken, was passiert, und ändern wieder die Karten ab. Das geht so lange hin und her, bis es ein rundes Spielerlebnis wird.

Oliver: Das ist doch sicher ein Einblick, der die Leser jetzt neugierig macht. Aber jetzt haben wir viel über deine Spiele gesprochen. Gibt es auch Spiele anderer Autoren auf deren Erscheinung du dich freust?

Peter: Dieses Jahr freue ich mich besonders auf „Kyoto“, das hatte ich als Prototyp gespielt und total gefeiert, das ist ein herrlich böses Verhandlungsspiel. „Sideral Confluence“ (dt. Titel: Siderische Konfluenz, Frosted Games) muss ich auch unbedingt näher anschauen, das klingt nach genau meiner Sorte Spiel, viel labern, verhandeln und pseudo-kooperieren. Die Idee hinter „Micro Macro“ finde ich großartig, das steht auch hoch auf meiner Liste.

Oliver: Welche drei Spiele von anderen Autoren hättest du gerne erfunden? Warum?

Peter: Ich finde, die Spiele sind bei ihren Autoren schon sehr gut aufgehoben. Aber wenn ich mir drei aussuchen müsste…

„Burgen von Burgund“, weil die vielen Würfeleinsetzmöglichkeiten, Zwischenbelohnungen und Kettenzüge einfach genial sind, so ein großartiges Spiel.

„Catan“ für den ultimativen Fame, dann hätte ich das moderne Brettspielzeitalter begründet, und ich müsste nie mehr arbeiten.

Und weil ich es mir jetzt ja leisten kann, wähle ich noch einen eher unbekannten Titel, „Labyrinth“ von Volko Ruhnke bei GMT, den geistigen Nachfolger von „Twilight Struggle“. Ein bombastisch gutes, hochgradig asymmetrisches Konfliktspiel.

Philip: Hättest du als Spieleautor und Archäologe nicht mal Lust, ein Spiel mit dem Thema Archäologie zu veröffentlichen?

Peter: Die meisten Spiele mit diesem Thema orientieren sich mehr an einem gewissen Herrn mit Hut und Peitsche denn an dem, was Archäologen wirklich tun.

Eine bemerkenswerte Ausnahme ist „Jenseits von Theben“ von Peter Prinz, in dem wir keine fallengespickten Tempel plündern und Nazis verprügeln, sondern in Bücher schauen und Ausgrabungen planen. Inklusive der leider sehr realistischen Situation, einfach mal gar nichts zu finden, nur Nieten aus dem Beutel zu ziehen.

So ähnlich hätte ich ein Archäologiespiel vielleicht auch aufgezogen, aber weil es das schon gibt, muss ich ja nicht mehr.

Oliver: Also 99 Nieten auf 100 Plättchen.

Aber lass uns noch einmal, ganz kurz, zu Paleo kommen. Hast du für uns, für die Leser noch einen kleinen, ultimativen Tipp zu Paleo?

Peter: Kuckt euch rote Karten ruhig auch mal von vorne an, viele Spieler meiden das wie die Pest. Manchmal finden sich hier auch kleine Belohnungen, man kann sie dauerhaft loswerden, oder der Schaden lässt sich vermeiden. Im schlimmsten Fall erfahrt ihr wenigstens für die nächste Partie, was euch da genau an den Kragen will.

Oliver: Prima, das probieren wir demnächst mal aus. Wir werden sehen ob es uns weiterbringt, oder ob wir wieder verhungern und erfrieren müssen.

Philip: Bevor wir jetzt zum Ende kommen, lass uns noch ein Blick auf die Messe SPIEL werfen. Die SPIEL.digital wird sich ja vollkommen von den bisherigen Messen unterscheiden. Was bedeutet das für dich konkret als Autor? (Promotionstermine, Treffen mit Verlagsvertretern, Prototypen etc.)

Peter: Ich werde ein bisschen Promo machen. Mein Redakteur Johannes und ich machen eine kleine Fragerunde und plappern über das Spiel, und ich werde mit dem restlichen Paleo-Team „Carcassonne Jäger & Sammler“ spielen. Das war es aber für mich vermutlich auch schon, ich bin nicht so der digitale Typ.

Es ist schon extrem schade, dass gerade zu meinem ersten großen Release diese dämliche Pandemie wüten muss, ich hätte liebend gerne am Stand den Leuten zugeschaut, wie sie Paleo spielen.

Und natürlich der ganze Rest: Durch überfüllte Hallen zu schlendern, mich einfach treiben zu lassen, Messeluft zu atmen, nette Leute zu treffen… Die physische SPIEL fehlt schon extrem.

Oliver: Das ist doch ein schönes Schlusswort, da können wir uns nur anschließen. Vielen Dank Peter, dass du dir die Zeit genommen hast mit uns zu plaudern und uns ein wenig Rede und Antwort gestanden hast. Wir wünschen dir ganz viel Erfolg mit Paleo und noch viele weiter, schöne Spielideen. Vielen Dank.

Peter: Ich habe zu danken!

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Die Fragen stellte das Team um Spielevater Oliver Sack, © Oktober 2020, alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, untersagt.

Außerdem findet ihr Podcastbeiträge zum Spiel bei Cliquenabend.de und den Talks auf Beeple.de und dem Messe-Radio der SPIEL.digital 2020

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