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Bevor wir zu meinen Gedanken über die Peisverleihung und Preisträger kommen, erst einmal die Ergebnisse 2018:
Kennerspiel des Jahres 2018 wurde „Die Quacksalber von Quedlinburg“
von Wolfgang Warsch, Verlag: Schmidtspiele.
Spiel des Jahres 2018 wurde (erwartungsgemäß) „Azul“
von Michael Kiesling, Verlag: Plan B Games.
Herzlichen Glückwunsch.
Das war er also, der wichtigste Termin in der Brettspiele-Szene neben der SPIEL in Essen. Die Würfel sind gefallen und wir haben ein Spiel-des-Jahres-2018 und ein Kennerspiel-des-Jahres-2018 gekürt. Wir? Nein, nicht wir, aber die Jury. Wir waren nur Zuschauer und Konsumenten. Der Saal in Berlin war voll und im Schnitt waren rund 600 Neugierige und ich, zeitgleich, via Facebook-Live-Video dabei. Und wie jedes Jahr, war die Diskussion außerhalb der Jury-Kreise bereits seit der Bekanntgabe der Nominierungen mal wieder sehr groß. In Zeiten von inkontinenter Social-Media-Bulimie wurde immer wieder aus allen Rohren gefeuert. Doch das war nur die erste Halbzeit. Jetzt, wo die Sieger feststehen, beginnt unmittelbar die zweite Runde. Ohne mich. Ich hatte mir zwar ursprünglich überlegt, ein schönes Bullshit-Bingo mit den üblichen „intelligenten“ Kommentaren aus Facebook, Twitter und Co. zu basteln. Mit „Die spinnt die Jury!“, „Die haben keine Ahnung!“, „Ist doch abgesprochen“ oder „XY ist doch kein Spiel!“ wäre die Chance auf ein schnelles Bingo recht hoch gewesen. Jedoch möchte ich die Hexenjagd nicht noch zusätzlich anfeuern. Im Gegenteil! Meine Entscheidung daher: ich begebe mich mutig mit erhobenem Haupte mit auf den Scheiterhaufen.
Teert mich, federt mich, denn ich kann mit der Entscheidung der Jury sehr gut leben. Mir gefallen alle 6 nominierten Spiele sehr gut, egal wer den Preis bekommen hat. Zwar aus unterschiedlichen Gründen, aber es sind auch unterschiedliche Spiele, für unterschiedliche Zielgruppen.
In der Kategorie „roter Pöppel“:
Azul – ein schönes Spiel, welches gerne auf den Tisch kommt. Ich kann es „aus dem Bauch“ heraus spielen, so wie meine Frau, oder taktisch und vorausschauend. Letztere Spielweise mag meine Frau an mir aber so gar nicht.
Luxor – ein tolles Familienspiel, das sehr einfache Regeln hat und dennoch genügend Tiefe für unterhaltsame 60 Minuten mit der Familie oder mit Freunden bereithält.
The Mind – dieses kleine Kartenspiel ist anders. Völlig anders. Hier gefällt mir vor allem das besondere Spielgefühl und Spielerlebnis mit meinen Mitspielern. Auch Gelegenheitsspieler sind immer wieder begeistert – aber keiner weiß warum! Es ist eben anders. Ihr spürt was ich meine….
Beim „anthrazit Pöppel“ sieht es nicht anders aus:
Ganz schön clever – ein roll&write Spiel mit Finessen und taktischen Überlegungen. Flott und kniffelig. Geht immer, macht Spaß und reizt immer wieder zu neuen Partien. Die eigene Bestmarke immer höher zu treiben spornt an. Freude und Schadenfreude geben sich die Hand am Spieletisch. Wirklich ganz schön clever.
Heaven & Ale – Hammer Strategiespiel. Verhältnismäßig einfache Regeln aber sehr viel Tiefe. Nichts für Bauch-Spieler. Hier wird jeder Fehler gnadenlos bestraft. Zwar geht das Thema im Spiel völlig unter, aber dennoch ist es ein richtig gutes Kennerspiel an der Grenze zum Expertenspiel.
Quacksalber – Glückslastig, einfach, unterhaltsam und spannend. Für mich zwar wie auch „ganz schön clever“ in der falschen Kategorie, aber trotzdem ein gutes Familienspiel mit vielen Varianten und Möglichkeiten. Und das Schummelpotenzial? Wer schummelt hat an meinem Tisch nichts verloren – Ganz einfach!
Verdient hätten somit aus meiner Sicht alle den Preis, aber wie so oft, nur einer kann gewinnen. Die Falschen waren es sicher nicht. Doch wie geht es jetzt weiter? Nun, jetzt laufen alle wieder heiß. Autoren sind glücklich, Verlage nutzen das Ergebnis um ihren Absatz und Gewinn zu steigern. Der Handel hört schon wieder die Glöcklein und Kassen im Weihnachtsgeschäft klingeln. Die Jury wirkt zufrieden, hat man doch wieder etwas für das Kulturgut „Spiel“ getan. Und die Oma? Die Oma wird vor Weihnachten im Spielwarenregal wieder zum roten Pöppel greifen, ohne zu wissen warum und was sie tut. Sie vertraut auf bewährtes, wie gesagt, den Handel freut’s, die Kassen klingeln.
Und die Social-Media-Bulimisten? Die, die keiner kennt? Die holen den frisch polierten Hammer raus, schwingen diesen wie ein Olympionike und hauen drauf. Sie wettern gegen alle, die nicht ihrer Meinung sind. Das sie dabei völlig vergessen, wo der Unterschied liegt zwischen Jury-Preis, Publikums-Preis und eigener Meinung, scheint nicht von Interesse zu sein. Hauptsache dagegen. Wenn mir ein Film im Kino gut gefällt, ist es mir doch auch egal, ob, warum und wie viele Oskars er bekommen hat. Anstatt den Preis also einfach zu akzeptieren oder einfach zu ignorieren, werden die eigene Meinung und der eigene Favorit, den meist sogar wenige kennen, in den Vordergrund gestellt. Jeder der dann anderer Meinung ist, wird bloßgestellt und angepöbelt. Was bringt’s? Nichts! Mann kann eben eine Jury nicht beeinflussen. Man muss ihre Entscheidungen akzeptieren und das ist gut so. Wer selbst mitwirken will an einer Preisvergabe, für den gibt es ja noch den Deutschen (Viel-)Spiele(-r) Preis. Ein Publikumspreis, bei dem jeder mit abstimmen darf und der ebenso einen hohen Stellenwert hat wie die „Spiel des Jahres“ Auszeichnung, nur wird der DSP nicht von einer Jury vergeben. Aber wem sag ich das? Lassen wir also wieder alles und jeden über uns ergehen. Oder beschränken uns auf die, die objektiv an die Sache herangehen. Man muss ja nicht alles lesen in den sozialen Medien, wo sogar schon Chauvinismus und Sexismus-Debatten offensichtlich Einzug in unser Hobby gehalten haben. „Einfach mal die Fresse halten!“ – Klingt komisch, ist aber so. Ich habe fertig!
Bleibt mir jetzt nur noch einmal zu sagen: Herzlichen Glückwunsch an die Autoren, Grafiker, Redakteure und Verlage der Preisträger und Nominierten.
Und, ganz nebenbei noch einen herzlichen Glückwunsch an Harald Schrapers, dem neuen Vorsitzenden der Jury Spiel des Jahres. Danke an die Jury für ihre gute und wertvolle Arbeit – weiter so. Danke an den ehemaligen Vorsitzenden Tom Felber für seinen wertvollen und unermüdlichen Einsatz für die Jury und das Kulturgut Spiel.
23.07.2018, Oliver Sack
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