Revisor Titelbild

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In unserer Reihe „Neues vom SpieltischRand“, berichten wir heute einmal mehr von einem besonderen Spieler-Typus. Dem „Revisor“. Er ist nicht vom Aussterben bedroht und jeder hat bestimmt schon einmal ein Exemplar gesehen, denn er ist alles andere, als scheu. Er sitzt üblicher Weise, wie jeder andere Mitspieler am SpieltischRand. Sein Äußeres lässt keine Rückschlüsse zu seinem Vorhaben erahnen. Er agiert impulsiv und völlig überraschend. In relevanten Situationen gibt er sich mit einem, bereits bedrohlich klingenden Ausruf zu erkennen: „Ähh, halt, warte… ich mach doch lieber …“ – in diesem Moment ist es dann auch schon zu spät!

Um sein Vorhaben zu ergänzen und zu untermauern, folgt meist noch ein unschuldig klingendes: „darf ich…“. Unmittelbar auf diese Frage kommt es dann auch schon zu den ersten regulatorischen Handbewegungen über dem Spielplan.

Na, welchen Mitspieler hat der interessierte Leser genau in diesem Moment vor seinen Augen?

 

Antwort: _____________________ (bitte Name eintragen)

Ein kleiner Ausflug in die Anthropologie soll uns jetzt helfen, eine noch exaktere Einordnung innerhalb der verspielten Evolution durchführen zu können. Schließlich wollen wir einen gewissen Bildungsauftrag erfüllen. Auch wollen wir unser Wissen nicht für uns behalten.

Fun-Fakt: Sucht man im Duden nach „revidieren“, kommt man zu „zurücknehmen“. Dort wiederum, findet man an vierter Stelle der Bedeutungen tatsächlich:

Revidieren Duden.qed!

Wir sind also auf dem richtigen Pfad. Gemäß der Prophezeiung. Wobei mich hier das „noch einmal“ ein wenig erschaudern lässt.

Quelle: https://www.duden.de/rechtschreibung/zuruecknehmen

Der Revisor (Homo ludens ambiguus)

Bereits beim Blick auf seine Herkunft wird klar, es handelt sich bei einem Revisor im Wesentlichen um jemanden wie … dich und mich.

Nicht verwechseln darf man den Revisor mit dem Typus „Denker“. Letzterer braucht zwar lange für seine Zugplanung, lässt diese aber dann unverändert.

Systematik:

Ordnung:  Menschenartige (Hominoidea)

Überfamilie:  Menschenaffen (Hominidae)

Familie:  Mensch (Homo sapiens)

Unterfamilie:  Spieler (Homo ludens)

Gattung:  Brettspieler (Tabula ludio)

Art:  Revisor (Homo ludens ambiguus)

 

Betrachten wir sein Erscheinungsbild, gibt es ein paar markante Merkmale, die den Revisor deutlich von anderen Vertreter der Gattung „Brettspieler“ unterscheidet. Grundsätzlich entspricht der Revisor von seinem äußeren Erscheinungsbild her, der typischen Grundform eines Brettspielers. Markanteste Gliedmaßen sind seine zwei Beine, die er meist jedoch unter dem Spieltisch verstaut. Seine zwei Arme, die er geschickt zum Spielen, Gestikulieren und zur Nahrungsaufnahme verwendet, sind seitlich am Rumpf zu finden. Die Reichweite der Arme erstreckt sich über weite Teile des Spielplans.

Der Kopf ist in der Regel leicht vom Hals abgesetzt, jedoch noch fest mit diesem verbunden. Er ist die Hülle der zentralen Recheneinheit, die innerhalb von Millisekunden komplexe, analytische Berechnungen einer Spielsituation bewältigen kann, jedoch Schwierigkeiten bei der Visualisierung dreidimensionaler Abläufe hat. Bei der KRL (Kopf-Rumpf-Länge) unterscheidet er sich wenig von anderem Spielertypen. Wichtigstes Hilfsmittel am Kopf sind die beiden Augen. Mit ihnen erfasst er das Geschehen auf dem Spielbrett. Ein Stück weiter, unterhalb der zur Atmung wichtigen Nase, verbirgt sich eine hilfreiche Öffnung – der Mund. Dieser liegt gelegentlich auch gut getarnt unter oder zwischen einem keratinhaltigen, fadenförmigen Gebilde, welches lediglich zur Filterung von hopfenhaltigem Schaum, Essensresten oder Stimulation des Weibchens dient. Sollte dieses fadenförmige Gebilde über 50% des Gesichts einnehmen und mit einem abgeschlossenen Maschinenbaustudium einhergehen, ist jedoch erhöhte Vorsicht geboten.

Lebensraum

Zu seinen bevorzugten Habitaten gehören unter anderem die Wiesen, Flüsse und Felder rund um Carcassonne. Hier bieten sich je nach Spielfortschritt, mitunter fast unzählige Möglichkeiten, ein Plättchen zu drehen, zu wenden und zu platzieren, bevor man sich Gedanken über die Positionierung von Gefolgsleuten machen muss. Letztere können notfalls ebenso umplatziert werden.

Auch an Rummikub-Tischen ist er häufig zu finden. Hier hat er alles im Griff und genießt dies auch sichtlich. Er ist in der Lage, komplexe Auslagen unzähliger Spielsteine manuell umzusortieren um nur einen eigenen Stein zu platzieren. Anschließend kann er dann die neu geschaffene Spielsituation komplett zurücksetzen, neu verteilen und umlegen, um eventuell doch noch einen zweiten Spielstein zu legen.

Eher selten anzutreffen ist der Revisor hingegen an Pokertischen. Hier ist die körperliche Unversehrtheit für ihn in großer Gefahr. Daher meidet er diese Habitate instinktiv oder unterdrückt dort gekonnt seine Zwangsstörungen.

Verhalten

Der Revisor ist nicht in der Lage, sich das Ergebnis seiner Planung vorzustellen und muss deshalb die Situation reell und plastisch vor Augen haben. Dazu führt er zunächst seinen Spielzug wie geplant durch, um anschließend die Situation erneut zu erfassen und zu analysieren. Dieser Vorgang geht in der Regel recht schnell. Anschließend bewertet er das erfasste Blitzschnell und kündigt mit „Moment… ich mach lieber …“ an, dass sein Zug doch noch nicht beendet ist. Einzelne Exemplare schaffen diesen Kniff auch mittels nonverbaler Kommunikation und handeln unmittelbar.

Klischees wie „berührt, geführt!“ kehrt der Revisor dabei völlig unter den Spieltisch, während „ich glaube nur was ich sehe“ sein Credo ist.

Wie endgültig die revidierte Fassung seines Spielzuges ist, bleibt dabei zunächst noch unklar. Stochastik-Liebhaber könnten durch Beobachtungen das tatsächliche Ende des Spielzuges eines Revisors jedoch ungefähr vorausberechnen. (Konfidenzniveau rund 65 %)

Dabei ist in der Realität immer wieder zu beobachten, dass auch der vom Folgespieler begonnene Spielzug eine Revision nicht unwahrscheinlicher macht. Der Revisor kann auch noch Runden später erbarmungslos zuschlagen.

Den Gegner verwirren, das Maximum aus dem eigenen Zug herausholen. Das ist der Antrieb des Revisors. So macht er alle mürbe und zwingt seine Mitspieler, unterschwellig, Fehler zu machen.

Achtung, das beschriebene Verhalten dient nicht dem Zwischenspeichern von Spielsituationen! (vgl. Prof. Dr. h.c.f.b. Peter Hra-Kenning)

Kurz, man könnte den Revisor auch als die personifizierte TAC-Karte bezeichnen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil er in der Verhaltenspsychologie als Tacmatiker bezeichnet wird.

Ursache des Verhaltens

Meist geht dem Revidieren von Spielzügen auch einher, mit der Angst vor Paralyse durch Analyse. Dabei versucht das betroffene Individuum, durch ein übermäßiges analysieren einer Situation, das Treffen einer Entscheidung zunächst heraus zu zögern oder gar ganz zu vermeiden.

Eine mögliche, endgültige Entscheidung wird dabei durch den Betroffenen als zu kompliziert, zu umfangreich angesehen, wodurch sich die Planung des eigentlichen Spielzugs hinauszögert und die Suche nach dem „perfekten“ Spielzug diesen ersetzt. Angst vor der Wahl einer suboptimalen Lösung (im Sinne des „Verlierens durch Instinkt“, fatale Entscheidungen durch übereiltes Urteilen oder durch „Bauchgefühl“), blockiert zusätzlich den Entscheidungsprozess.

In dieser Situation kommt es häufig nur durch externen Druck zur (übereilten) Durchführung des Spielzugs. In der Folge kommt es zu einer Zwangsstörung, den Spielzug zurückzunehmen und eine vermeintlich bessere Situation zu schaffen. Ein Teufelskreis.

Warnsignale und Früherkennung

Im Gegensatz zu manch anderen Spieler-Typen, lässt sich der Revisor bereits vor einer Partie, noch abseits vom Spieltisch erkennen. Dazu muss lediglich der zu prüfende Mitspieler nach seinen Getränkewünschen befragt werden. Antwortet dieser unmittelbar mit „Bier“, „Saft“ oder „Sprudel“, besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr, die vom Spieleverlag vorgesehene Spielzeit zu überschreiten. Wird der Getränkewunsch innerhalb der ersten 17 Sekunden nach der Order jedoch mehrfach revidiert, ist allerhöchste Vorsicht geboten. Die Wahrscheinlichkeit, einen Revisor am Tisch zu haben, liegt dann bei über 80%.

Wo Revision hilfreich sein kann

Stellen wir uns mal das Gefangenendilemma aus der Spieltheorie vor. Hier kann im günstigsten Fall der Spieler, der die Möglichkeit hat, seinen Zug zu revidieren, ein für sich besseres Ergebnis erzielen. (vgl. Wikipedia „Gefangenendilemma“ und „Spieltheorie“)

Wo Revision nichts bringt

Eher unvorteilhaft würde das Zurücknehmen eines erfolgreichen Zuges in Situationen des Angsthasenspiels (Chicken-Race/Feiglingsspiel) verlaufen. Hier würde entweder das Ergebnis des eigenen Spielzuges eher verschlechtert, oder James Dean hätte überlebt.
(vgl. Wikipedia „Feiglingsspiel“ und „Spieltheorie“)

Hybride Formen

Die häufigste, hybride Form, ist die Kombination aus „Denker“-Typus und dem Revisor. Bei einem „Hybriden Revisor“ folgt das Zurücknehmen eines Spielzuges erst nach einer sehr langen Planungsphase. Bei einem „Hybriden Denker“ überrascht dieser nach seinem, erwarteten, langen Planungsprozess mit einer überraschenden Annullierung des Spielzuges, worauf wiederum eine erneut sehr lange Planungsphase folgt. Ein kleiner, wenn auch feiner Unterschied, der aber in jedem Fall zu Lynchgedanken der Mitspieler führen kann.

Feinde

Die wohl explosivste Mischung entsteht, wenn Revisor und Alpha-Spieler am selben Spiel sitzen. Hier kann es schnell zu unkontrolliert umherfliegenden Spielmaterialien kommen.

Ebenfalls feindselig gesinnt sind dem Revisor, Würfel aller Art. Diese kann er nicht ohne weiteres neu werfen, da er dadurch ungewollt schnell mit dem Typus „Probewürfler“ verwechselt werden kann, was er im Allgemeinen vermeiden will.

Treten Revisor mit Probewürfler und Alphaspieler in Personalunion auf, nimmt die Zahl der Feinde am Tisch exponentiell zu.

Lebensfeindliche Umgebungen

Bei den folgenden zehn Spielen ist die Anwesenheit eines Revisors gänzlich fehl am Platze und per se eher selten:

  •     Mikado
  •     Jenga
  •     Poker (s.o.)
  •     Strip-Poker (bedingt)
  •     Menara
  •     Rhino Hero Super Battle
  •     5 Minute Dungeon
  •     Funkelschatz
  •     Zug um Zug (per se)
  •     Bumm Bumm Balloon

Top 3 der bekanntesten Revisoren

1.    ______________________

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(Liste bitte selbst ausfüllen)

Fazit

Ich hoffe, mit diesem Beitrag niemandem zu Nahe zu treten. Er soll vielmehr ein kleines Lächeln in den ansonsten tristen Alltag zaubern. Und wenn ihr tatsächlich einmal mit einem Revisor am Tisch sitzt, lächelt und habt zusammen Spaß am Spiel.

Nachtrag

Wenn wir ein Spiel neu kennenlernen oder bei einem Spiel ein Spieler am Tisch das Spiel noch nicht so gut kennt, dann ist es bei und für uns absolut OK, einen Zug zurückzunehmen. Wenn wir ein Spiel nach dem auspöppeln erstmalig spielen, dann ist es sogar ausdrücklich erlaubt. Denn so kann man das Spiel gleich viel besser kennenlernen. Außerdem kann jedem einmal ein Fehler unterlaufen, es sollte nur kein Dauerzustand werden.

In den sozialen Medien wurde kürzlich auch über das Thema diskutiert. Unter den vielen Kommentaren gefiel mir besonders der Vorschlag, bei der Rücknahme eines Zuges einen Obolus in eine Kasse zu zahlen, um so ein gemeinsames Abendessen zu finanzieren.

In diesem Sinne …. du bist dran. Oder, warte, …. ich mach dann doch …. Sorry, …. OK, 1€ in die Meeple-Sau.

Danksagung

Für die hilfreiche, teils wissenschaftliche Unterstützung, möchte ich mich recht herzlich bedanken bei:

Feli, Simone, Petra, Translator, Jutta und Sandra

Diese nicht ganz ernst gemeinte Vorstellung eines Spieler-Typus erscheint im Rahmen unserer Serie „Neues vom SpieltischRand“. Für weitere Folgen suchen wir immer Ideen.

Der Einfachheit halber, verwende ich die maskuline Schreibweise in meinen Texten. Wenn ich von „Spieler“ schreibe, meine ich natürlich immer auch „Spielerinnen“ bzw. „Spieler m/w/d“

In der Reihe „Neues vom SpieltischRand“ sind bereits erschienen

© Oliver Sack, 07.07.2019 – Titelbild Fotomontage: Oliver Sack – Alle Rechte vorbehalten. – Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung.