Living Forest Titel

Lesezeit: 11 Minuten

Living Forest – im Frühjahr 2022 bei Pegasus auf Deutsch erschienen, konnte sofort in der Szene einschlagen. Schnell war es dort in aller Munde. Aber auch bei der Jury Spiel des Jahres blieb es nicht lange unbeachtet. Nachdem es 2021 in Frankreich erschien und 2022 dort den Titel „As d’or“ erhielt, war die erlangte Aufmerksamkeit auch nicht weiter verwunderlich. Doch was macht das Spiel aus? Was ist neu daran? Die Antwort: Nichts! Klingt jetzt hart, aber eigentlich haben wir hier einen klassischen Deckbuilder mit etwas Tamtam drum herum. Dennoch, Living Forest ist anders. Es hat einen ganz besonderen Reiz durch den Umstand, dass es von vornherein drei verschiedene Siegbedingungen gibt und der Deckbuilding Mechanismus unter anderem noch ein zusätzliches Push-Your-Luck Element mitbringt. Diese Kombination macht Living Forest richtig interessant.

living forest box

Name: Living Forest

Für 2-4 Spieler, ab 10 Jahren

Autor: Aske Christiansen

Illustrationen: Apolline Etienne

Verlag: Ludonaute

Vertrieb in D: Pegasus

Spieldauer: 30-60 Minuten

Platzbedarf: ca. 100x100cm zu viert

Verlagstext

Ein mystischer Wald, Quell der Ruhe und des Friedens, wird von den verheerenden Flammen des Onibi bedroht. In Living Forest schlüpfen die Spielenden in die Rollen der Naturgeister Frühling, Sommer, Herbst und Winter und wollen den Wald beschützen, indem sie die Flammen löschen, Bäume pflanzen oder den Wächter des Waldes erwecken. Wem wird es gelingen, Onibi in die Flucht zu schlagen? In jeder Runde decken die Spielenden – jede*r für sich – Karten ihrer Decks auf, die unterschiedliche Waldtiere zeigen. Diese hilfreichen Waldwesen bringen diverse Elemente mit. Doch unter den Tieren gibt es Einzelgänger, von denen nicht zu viele auf einmal aufgedeckt werden sollten.

Mit den Elementen können die Spielenden ein bis zwei Aktionen durchführen und so Bäume pflanzen, Flammen löschen, sich auf dem Steinkreis bewegen, um diverse Boni zu aktivieren, neue Tiere anlocken oder Magiefragmente erhalten. Am Ende jeder Runde müssen sich dann alle Spielende gleichermaßen den verbleibenden Flammen im Steinkreis stellen. Können sie diese nicht abwehren, müssen sie Feuerwarane in ihr Deck aufnehmen – griesgrämige Einzelgänger-Tiere, die keine Elemente beisteuern. Nur mit Magiefragmenten kann man sie wieder loswerden! Das Spiel endet, sobald eine Person es schafft, eine der drei möglichen Siegbedingungen zu erfüllen.

Quelle: www.pegasus.de

Spielablauf bei Living Forest

Gespielt wird Living Forest über mehrere Runden, bis eine von drei Siegbedingungen erfüllt ist. Jeder Runde besteht aus drei Phasen, die zum Teil parallel ausgeführt werden.

living forestKern des Spiels ist der eigene Tier-Kartenstapel, der zu Beginn des Spiels aus 14 Karten besteht. Mit diesem Deck bestreiten wir Runde um Runde und versuchen dabei nicht nur eine der Siegbedingungen zu erreichen, sondern auch unser Deck zu optimieren, zu vergrößern, um später stärkere Aktionen durchführen zu können.

Neben dem Kartendeck hat jeder Spieler noch ein Spieltableau, auf dem der eigene Wald angelegt wird, sowie eine Spielfigur, die sich auf einem Steinkreis bewegen kann, um dort Bonus-Aktionen ausführen zu können. Ebenfalls werden noch Flammenplättchen in den Steinkreis gelegt. Doch dazu später mehr.

Das Kartendeck eines Spielers besteht zunächst aus 14 Tier-Karten, von denen 9 als „neutrale“ Tiere und 5 als „Einzelgänger“ bezeichnet werden. (Im späteren Verlauf können noch „gesellige“ Tiere hinzukommen.) Jede dieser Karten zeigt unterschiedliche Aktionspunkte an, die in der zweiten Spielphase verwendet werden können, um die dazugehörige Aktion auszuführen.

Des Weiteren wird in der Tischmitte eine Auslage mit weiteren Tier-Karten gebildet, welche später gekauft werden können (erinnert an das Spiel „Splendor“).

Phase 1 – Tierphase

In dieser Phase decken alle Spieler beliebig viele Tier-Karten vom eigenen Nachziehstapel auf, bis man entweder mit der Auslage zufrieden ist oder das Aufdecken beenden muss. Die aufgedeckten Karten geben an, wie viele Aktionspunkte in Phase 2 für die jeweilige Aktion zur Verfügung stehen.

living forest tierreiheSobald man mit der aufgedeckten Tierreihe zufrieden ist, endet die Tierphase und man darf in der folgenden Aktionsphase zwei Aktionen ausführen. Wird man jedoch gezwungen, das Aufdecken von Karten zu beenden, bleibt nur noch 1 Aktion in der Aktionsphase. Dies geschieht, wenn beim Aufdecken der Karten das dritte Tier mit „Einzelgänger“-Symbol aufgedeckt wird. So bleibt es jedem Spieler selbst überlassen, ob man es riskieren möchte, weitere Karten aufzudecken, um viele Aktionspunkte zu sammeln. Oder möchte man lieber auf Nummer Sicher gehen um zwei Aktionen auszuführen zu dürfen.

Im späteren Spielverlauf kann man „gesellige“ Tiere in sein Deck kaufen und „Magie-Fragmente“ erhalten. Beides hilft, eine große Auslage beim Aufdecken zu bilden. Ein „geselliges“ Tier neutralisiert einen „Einzelgänger“ und durch Abgabe eines „Magie Fragments“ können Karten abgelegt statt ausgelegt werden. Dies erhöht nicht nur die Stärke einer Aktion in Phase 2, sondern sorgt dafür, dass man etwas mehr riskieren kann beim Aufdecken von Karten.

Phase 2 – Aktionsphase

Je nachdem, ob man nun eine oder zwei Aktionen durchführen darf, wählt man unter fünf Aktionsmöglichkeiten aus. So kann man zum Beispiel ein „Magie-Fragment“ nehmen, neue Tierkarten kaufen oder Bäume dem eigenen Wald hinzufügen. Außerdem könnte man seine Spielfigur auf dem Steinkreis bewegen, um Bonusaktionen auszulösen oder eventuell ausliegende Flammen-Marker nehmen. Da Tier-Karten, Bäume und Flammen unterschiedliche Wertigkeiten (Preise) haben, entscheidet jeweils die Summe der passenden Symbole auf den ausliegenden Karten, ob man sich das gewünschte Element leisten kann oder nicht. Die Summe der Symbole auf den Tierkarten kann dabei noch durch gleiche Symbole auf dem Wald-Tableau und den dort ausliegenden Bäumen erhöht werden.

Haben alle Spieler ihre Aktionen der Reihe nach ausgeführt, folgt die dritte und letzte Phase einer Runde. Wichtig! Die ausgelegte Kartenreihe darf noch nicht abgeräumt werden.

Phase 3 – Rundenende

Zuerst wird nun geprüft, ob ein Spieler eine oder mehrere Siegbedingungen erfüllt hat. Wenn ja, endet das Spiel sofort. Die drei Siegbedingungen sind:

–        12 Flammenmarker gesammelt.

–        12 Bäume im eigenen Wald.

–        12 heilige Blumen auf den ausliegenden Karten.

Wurde keine dieser Bedingungen erfüllt, wird zunächst geschaut, ob noch Flammen-Plättchen im Steinkreis ausliegen. Ist das der Fall, werden deren Werte addiert und mit der Anzahl Wassersymbolen auf den ausliegenden Kartenreihen der Spieler verglichen. Wer zu wenig Wassersymbole hat, bekommt eine „Feuerwaran-Karte“ in seinen Nachziehstapel. Dieser bringt ein Zusätzliches „Einzelgänger“ Symbol und erhöht so das Risiko, früh das Auslegen von Karten zu beenden.

Anschließend werden die Tierkarten in der allgemeinen Auslage ergänzt, gegebenenfalls Flammplättchen in den Steinkreis gelegt und erst jetzt kommen alle ausgespielten Karten auf die Ablagestapel ihrer Besitzer. Abschließend wechselt der Startspieler und die nächste Runde kann beginnen.

Unsere Eindrücke

Living Forest ist sehr zugänglich. Die Regeln sind kurz und alles andere als kompliziert. Die drei unterschiedlichen Siegbedingungen lassen unterschiedliche Strategien zu, was das Spiel sehr abwechslungsreich macht. Spielt man Living Forest zum ersten Mal, bekommt man schnell den Eindruck, dass das Sammeln von Flammenplättchen DIE Strategie ist, um das Spiel zu gewinnen. Nach einigen Partien jedoch bemerkt man schnell, dass es auch über die Bedingung „12 verschiedene Bäume“ durchaus zu gewinnen ist. Die letzte der drei Siegbedingungen „12 heilige Blumen“ blieb auch in unseren Anfangsrunden mehr Traum und galt zunächst als wenig erfolgversprechend. Doch die Lernkurve bei Living Forest ist hoch und irgendwann versucht man auch, diese verflixten 12 heiligen Blumen zu erreichen.

Strategien

Bei mir war das genauso. Meine ersten Partien wurden immer durch Flammplättchen entschieden. Später kam der erste Sieg durch Bäume zustande, denn Flammplättchen zu bekommen funktioniert nur, wenn die Mitspieler diese zu vernachlässigen. Großer Fehler! Nichts einfacher, als den Sieg durch Flammplättchen zu verhindern. Bei den Bäumen hilft auch die Interaktion nicht, denn von diesen sind genügend vorhanden. Man braucht nur etwas Geduld.

Was hingegen kaum zu verhindern ist, ist das Sammeln von heiligen Blumen. Allerdings muss man bei dieser Strategie noch Neben-Strategien fahren. Um genügend heilige Blumen zu haben, ist es zwingend erforderlich, sein Deck aufzublasen. Viele Tierkarten bringen neben heiligen Blumen auch weitere Symbole, um andere Aktionen durchzuführen, die wiederum als Bonus heilige Blumen einbringen. Klingt wie ein Teufelskreis. Ist es auch, denn das erfordert Disziplin und kein Abweichen von eingeschlagenen Wegen. Allerdings sollte man die Blumen-Taktik erst wählen, wenn man schon einige Partien gespielt hat und dennoch wird man sehr oft scheitern, um am Ende, wenn andere Spieler das Spiel beenden, mit 11 heiligen Blumen dazustehen.

Der Steinkreis

Nicht zu unterschätzen ist der Steinkreis. Es lohnt sich immer, diesen genau im Auge zu behalten, um im richtigen Moment bis zu vier Aktionen statt der üblichen ein oder zwei durchführen zu können. Doch damit nicht genug. Gelingt es, einen Mitspieler auf dem Steinkreis zu überholen, darf man bei diesem eines seiner Bonusmarker klauen. Diese Bonusmarker zählen bei der Sieg-Auswertung entweder als 1 Flamme, 1 Baum oder 1 heilige Blume. Überholt man gar mehrere Mitspieler, erhöht sich entsprechend die Beute. Das kann spielentscheidend sein.

Glück, Interaktion und persönliche Erfolge

Neben der Interaktion, die man gut beeinflussen kann, gehört aber auch immer eine gehörige Portion Glück dazu. Das gilt besonders beim Aufdecken der eigenen Kartenreihe. Kommen die „Einzelgänger“ früh, ist es schwer, lange Reihen zu bilden. Kommen diese spät oder lassen sich gar abwehren, kann man auf eine stattliche Summe bei den Symbolen und somit Aktionspunkten hoffen. Mein persönlicher Rekord war ein Sieg mit 18 (!) heiligen Blumen und gleichzeitig 12 Bäumen. Zugegeben, ich hatte Schwein. Meine Mitspieler kloppten sich um Flammen und hatten nicht bemerkt, dass ich über Bäume versuchte, viele Tierkarten in mein Deck zu kaufen.

Allerdings muss ich hier noch erwähnen, dass ich hin und wieder auch Flammenplättchen nahm, nur um diese nicht den Mitspielern zu gönnen. Klingt kompliziert? Keine Angst, das wird am Anfang eher nicht passieren. Es brauchte bei uns auch einige Partien, um zu sehen, welche Feinheiten es zu beachten gibt und was alles möglich sein kann. Das ist aber auch ein großer Pluspunkt von Living Forest. Das Spiel kann einerseits locker aus dem Bauch heraus gespielt werden oder eben sehr taktisch. Somit kann Living Forest als Familienspiel wie auch als Kennerspiel gleichermaßen punkten.

Familienspiel oder Kennerspiel?

living auflagenLiving Forest erschien 2021 in Frankreich bei Ludonaute und wurde 2022 dort zum „As d’Or“, dem französischen Pendant zu „Spiel des Jahres“, nominiert. Living Forest gewann dann auch den Titel in der Kategorie „Inité“ (Insider, vergleichbar mit unserem Kennerspiel). Im Frühjahr 2022 kam es dann bei Pegasus auf den deutschen Markt. Als Familienspiel. Dies sorgte in der Folge bereits für viele Diskussionen in der Szene. Ist es ein Familienspiel? Oder doch eher ein Kennerspiel? Die Spielregeln sind ja nicht so kompliziert, aber die Strategien vielleicht? Wie ist der Umstand einzuschätzen, dass es drei verschiedene Siegbedingungen gibt? Fragen, die auch in unseren Runden viel diskutiert wurden.

Dann kam der 23. Mai 2022, der Tag, an dem die Jury Spiel des Jahres die Nominierungen (Shortlist) und Empfehlungen (Longlist) bekannt gibt. Dort erschien wie vermutet, Living Forest bei den Kennerspielen und wurde für den Preis „Kennerspiel des Jahres 2022“ nominiert, was die Diskussionen in der Szene erneut entfachte. Doch damit nicht genug. Pegasus kündigte an, auch die Spielschachtel für weitere Auflagen zu ändern und Living Forest als Kennerspiel einzuordnen. Diese Kehrtwende sorgte wiederum für Zündstoff in der Szene, ist aber meiner Meinung nach völlig in Ordnung. Ich kann mit der Einstufung „Kennerspiel“ gut leben und finde die Kehrtwende von Pegasus konsequent und völlig OK.
(Bild: oben Erstauflage, unten Neuauflage)

Fazit zu Living Forest

Living Forest ist ein wunderschön gestaltetes Spiel, das unterschiedlichen Ansprüchen gerecht wird. Durch die unterschiedlichen Siegbedingungen und Taktiken gleicht keine Runde der anderen. Mal gewinnt man locker mit 12 Bäumen, mal schafft man nicht einmal 5 Bäume in einer Partie. Glück, Taktik und Interaktion stehen hier in einem gut ausgeglichenen Verhältnis.

Living Forest ist auf jeden Fall einen Blick wert und sollte das Spiel den Titel „Kennerspiel des Jahres 2022“ gewinnen, dann zurecht.

© 06.06.2022 Oliver Sack – Abbildungen der Spiele und Regelauszüge ©Pegasus / Fotos: © Oliver Sack

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