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In unserer Reihe „Neues vom SpieltischRand“, widmen wir uns heute wieder einem ganz besonderen und absolut unentbehrlichen Spieler-Typus. Dem Regel-Erklärer. Auch er steht oder sitzt meist am SpieltischRand und ist deutlich zu erkennen an dem erhobenen Zeigefinger oder seinem Balzruf „Haaalt, Stopp!“.
Der Regel-Erklärer (Ludum Rules Explicator / ugs.a.: „arme Sau“)
Ich denke, ihr wisst wieder ganz genau, was oder wen ich meine. Jeder zweite Leser hat nämlich genau jetzt eine Person aus seinem (Spiele-)Bekanntenkreis vor Augen. Stimmt’s? OK, ich spüre, wir verstehen uns schon einmal bei der Grundthematik wie Statler und Waldorf. Hervorragend, dann können wir uns ja mal näher mit diesem Individuum beschäftigen.
Schauen wir uns dazu den Typus einmal genauer an. Dafür ist allerdings ein kleiner Ausflug in die Wissenschaft notwendig, damit wir eine exakte Einordnung durchführen können. Schließlich geht es immer auch darum, sauber zu recherchieren.
Bereits beim Blick auf seine Herkunft in der Systematik wird klar, es handelt sich bei einem Regel-Erklärer im Wesentlichen um jemanden wie Du und Ich.
Systematik
Ordnung: Menschenartige (Hominoidea)
Überfamilie: Menschenaffen (Hominidae)
Familie: Mensch (Homo sapiens)
Unterfamilie: Spieler (Homo ludens)
Gattung: Brettspieler (Tabula ludio)
Art: Regel-Erklärer (Ludum Rules Explicator)
Erscheinungsbild
Betrachten wir jedoch sein Erscheinungsbild, gibt es ein paar markante Merkmale, die den Regel-Erklärer deutlich von anderen Vertreter der Gattung „Brettspieler“ unterscheidet. Grundsätzlich entspricht der Regel-Erklärer von seinem äußeren Erscheinungsbild her der typischen Grundform eines Menschen, mit zwei Beinen, zwei Armen, Rücken und Bauch. Der Kopf ist in der Regel leicht vom Hals abgesetzt, jedoch noch fest mit diesem verbunden. Der Erklärer ist klein bis mäßig hoch und vergleichsweise kugelförmig, was mit seiner individuellen Ernährung zusammenhängt.
Beide Augen haben je eine nahezu runde Pupille, die sich der Menge des einfallenden Lichts, welches von Fall zu Fall durch ein Nasenfahrrad differenziert gebrochen wird, anpassen kann. Zur Nase hin läuft er spitz zu und zeichnet sich durch unterschiedliche Behaarungsregionen im Antlitz aus. Es gibt auch Exemplare, denen jegliche Behaarung im sichtbaren Bereich fehlen. Die Nasenlöcher sind rund und liegen knapp über dem Mund, unterhalb der Augen. Gelegentlich sieht man hier auch partiell ein keratinhaltiges, fadenförmiges Gebilde zur Filterung von Essensresten oder Schleimabsonderungen. Lage und Form der Nase können zudem zur Unterscheidung einzelner Arten herangezogen werden.
Die oberen Extremitäten sind vergleichsweise lang und tragen am Ende in der Regel je 5 Finger, von denen an der rechten Hand nur der zweite von links zu sehen ist. Der Rest wird meist zur Faust geballt. Dieser erhobene Zeigefinger kann als ein optisch markantes Merkmal bezeichnet werden. Man sollte dies jedoch nicht mit dem erhobenen Mittelfinger des Spielverderbers verwechseln. Die unteren Extremitäten sind länger als die oberen, dienen jedoch nur der Fortbewegung und haben beim Spielen und Erklären eher eine sekundäre Funktion. (Anmerkung meines Physio-Therapeuten, Zitat: „Ich betreute einmal einen Schachspieler, der bei einem Turnier nach 3 Stunden vergaß, dass er seine Beine übereinander geschlagen hatte. Beim schlagartigen Aufspringen in Folge seines Sieges, hat er sich dann zwei Bänder im Sprunggelenk gerissen.“)
Lebensraum des Regel Erklärers
Dieser erstreckt sich vom Bett oder Sofa bis hin zum Spieltisch, wo er auf seine natürlichen Feinde trifft. Zu diesen natürlichen Feinden gehören neben den normalen Spielern auch Typen wie „Denker“, „Opfer“ oder „Passiv-Spieler“, die wir ja schon hinlänglich kennengelernt haben. Resistent ist er allerdings gegen Dinge wie „Hausregeln“ oder „das Einmischen von Bretterwizzern“. Ebenfalls können „Fragensteller“ zu den natürlichen Feinden gezählt werden, die aber meist unterlegen sind. „Er fragt nach? – was erlauben …“. Innerhalb seines Lebensraum fühlt sich der Erklärer geborgen und unantastbar. Erst wenn er seinen angestammte Umgebung verlassen muss wirkt er verletzlich.
Das Verhalten gegenüber Artgenossen ist jedoch, dafür dass es sich hier um ein Alpha-Tier handelt, eigentlich meist sehr friedlich. Das liegt wiederum daran, dass ein Regel-Erklärer doch sehr existenziell am Spieltisch ist. Denn ohne ihn läuft rein gar nichts und aus einem Spieleabend wird dann schnell eine Ethanol-lastige-Talkrunde. Grundsätzlich ist er daher ein sehr gern gesehener und geselliger Mitspieler.
Beuteschema
Das Beuteschema des Erklärers ist vielfältig und artenreich. Er ist nicht sehr wählerisch, kann aber nicht als Aasfresser bezeichnet werden. Er interessiert sich für alle Spielregeln, die er zu fassen kriegt. Kurze Kartenspiel-Regeln verschlingt er gelegentlich auch während seiner natürlichen Bedürfnisse. Einzelne Exemplare schaffen sogar mehrseitige Regelwerke während einer einzigen Sitzung. Jedoch müssen die ausgewählte Regel und das dazugehörige Spiel immer auch dem persönlichen Geschmack des Erklärers entsprechen. Zu seiner bevorzugten Beute gehören Regeln von komplexen Spielen, wie zum Beispiel, ganz aktuell, „Rajas of the Ganges“ oder „Merlin“. Jedoch bereiten ihm Spiele mit vermeintlich kurzen und klaren Regeln (Bsp.: „Dice Forge“) bisweilen Unbehagen.
Wissenschaftliches zum Regel Erklärer
Nach so viel Theorie und einem kurzen Ausflug in die Wissenschaft, die hoffentlich auch wieder Wissen schafft, kommen wir jedoch wieder zurück zur Realität. Wir stellen uns dafür zunächst die Frage, wie sich ein Regel-Erklärer eigentlich auf ein Spiel vorbereitet. Hier unterscheidet man zwei Ansichten.
Ego-Sicht
Der Regel-Erklärer selbst spricht meist von einer perfekten Vorbereitung, mit unzähligen Selbsttests und Stunden des Regelstudiums. Ergänzt durch YouTube-Video-Semester und FAQ-Recherchen. Er fühlt sich absolut regelsicher und diesbezüglich unantastbar. Ein Profi, der eine genaue Vorstellung hat, wie er in das Spielgeschehen einführt und welche Details des Regelwerks er wann zur Sprache bringt. Er möchte sich nicht blamieren und sieht sich als verantwortlich für eine gelungene Partie, die allen Spaß macht.
Externe Sicht
Der gemeine Spieler hingegen, spricht in der Regel schnell von schlampigen Regelstudium und absichtlichen Unterschlagungen von Details, die eigentlich gar keine Rolle spielen und nur zur Diffamierung der unschuldigen Mitspieler dienen sollen. Kurz: „Du Depp!“
Aber mal ehrlich, als Erklärer hat man es wirklich nicht leicht. (Memo an mein Schatz: Nein, ich hab das ganz sicher schon anfangs erklärt und nicht absichtlich unterschlagen!) Wie oft muss man sich als Erklärer folgenden Satz anhören: „Das hast du SO aber nicht gesagt!“ oder „Jetzt kommst du mit SO Regeln, jetzt wo es DIR nützt!“ nein, der Erklärer hat es wirklich nicht leicht und wird schnell zum Sündenbock. (siehe auch: à „Schiedsrichter“) Dabei wird allerdings ein Aspekt aus Sicht des Erklärers gerne vergessen. Das absichtliche oder unabsichtliche Unterschlagen von Regeldetails kann auch recht hilfreich sein. Erklärt man nur 95% der Regeln, so können die restlichen 5% für den eigenen Erfolg verwendet werden. Zumindest ist das eine gute Ausrede.
Unterarten des Regel Erklärers
Es gibt aber auch Arten, die es mit ihrem Job übertreiben. Da werden dann auch gerne einmal Dinge erklärt, die wirklich keinen interessieren. Ein Beispiel gefällig? Gerne. Stellen wir uns vor, wir haben noch nie zuvor Catan gesehen oder gespielt und sitzen jetzt mit am Tisch. Das Spiel wird uns äußerst akribisch erklärt, und wir kämpfen schon mit der einsetzenden Müdigkeit. Dann kommt ein ausführlicher Ausflug in die Geschichte der Regeln Catans. Bitte, welcher Neuling interessiert sich für die frühere Trennung von Bau- und Handelsphase, wenn diese heute gar keine Rolle mehr spielt? Genau, keinen. Oder will uns der Erklärer damit suggerieren, er sei, was das Regelwerk betrifft, absolut unantastbar? Quasi eine wandelnde Catanische-Enzyklopädie? Man weiß es nicht. Fakt ist, manch ein Erklärer ist extrem pedantisch in seinem Tun und das ist dann wirklich too-much.
Erklärer in der Opferrolle
Manchmal kann man den Erklärer aber auch einfach nur bemitleiden. Dann nämlich, wenn sein Mitspieler zum penetranten Frager mutiert. Immer wieder Fragen, Fragen und nochmals Fragen. Das scheint bei manchen echt nervig zu sein. Prominentes Beispiel ist hier sicher Stefan Raab, keiner kann so detailliert und penetrant nach Regeldetails fragen, wie er. Davon ist auch sein Nachfolger Steffen Henssler noch Lichtjahre entfernt. Und meist sind die Antworten logisch oder die Situation, die eintreten kann, ist extrem unwahrscheinlich. Egal, Hauptsache gefragt.
„Fragen“ bringt uns hier auch zu einem der natürlichen Feinde des Regel-Gurus. Es gibt bisweilen Mitspieler, die Fragen stellen. OK, aber nicht gelegentlich irgendeine Frage, was ja legitim wäre, sondern immer das Gleiche. Auch wenn man schon 73x erklärt hat, dass bei „Carcassonne“ eine Straße eben NICHT an eine Wiese grenzen darf, er fragt es wieder. Zum 74., zum 75. und zum 76. Mal. Und immer wieder kommt dieselbe Antwort: „NEIN!“ Dies führt im Übrigen oft auch zu einem verkürzten Dialog diesbezüglich. „Darf ich ….“ – „Äh, nein!“
Tipp: Wer diese Situation als Erklärer kennt, der kann auch mal die Sätze „Rate mal..“ oder „gemäß der Prophezeiung“ probieren, die funktionieren auch recht gut.
Feind Nr.1
Und dann gibt es noch die Art Spieler, die die gesamte Vorbereitung des Erklärers förmlich mit Füßen treten. Die Nervensäge in Personalunion mit dem Nörgler. Nach gefühlten 53 Sekunden der Erklärung unterbricht er die Szenerie mit seinem Kampfschrei „Lasst uns anfangen, der Rest ergibt sich bestimmt im Spiel!“ Ja, „learning by doing“ kann auch im Spiel funktionieren, aber eben nur „kann“. Denn meist sind die, denen es nicht schnell genug gehen kann, später auch jene welche, die einem permanent Vorwürfe machen. „Das hast du nicht gesagt!“ oder „Ich denke du hast die Regeln gelesen?“ – Das sind nur zwei Beispiele aus einer unglaublich großen Liste mit Konter-Sprüchen. Tatsache ist, dass Spieler dieses Typs permanent Fehler machen, die einzig und alleine auf ihr „nicht zuhören“ zurückzuführen sind.
Fazit
Ja, der Erklär-Bär hat es schwer. Man erwartet von ihm die Beantwortung aller Fragen und nach Möglichkeit auch taktische Tipps und strategische Hinweise. Man ist froh, selbst die Regeln nicht lesen zu müssen und alles erklärt zu bekommen. Und auch wenn nicht alles hier ganz so ernst gemeint ist, so können wir doch zusammenfassend festhalten, dass der „Regel-Erklärer“ (auch: „Erklärbär“) grundsätzlich ein lieber und harmloser Mitspieler ist. Er hat sich vorbereitet, um anderen den Spielspaß überhaupt erst zu ermöglichen. Ihn dafür abzustrafen ist mehr als unfair. Vielmehr sollten wir an dieser Stelle an alle Regel-Erklärer ein großes Danke senden. Danke, dass ihr euch für uns die Mühen macht. Und wer dennoch mit „seinem“ Erklärer unzufrieden ist, der soll sich selbst mal an dieser Rolle versuchen. Viel Erfolg.
Noch ein Tipp an alle Regel-Erklärer, also von geplagtem Erklärer zu geplagtem Erklärer: Lasst eure Mitspieler gewinnen, damit sie auch morgen wieder mit euch spielen.
In diesem Sinne, Danke für’s zu Ende lesen und nicht vergessen: Wir wollen doch nur spielen…
Literatur-Tipps zum Thema
„Die 7. Seite des Würfels“ (Jürgen D. Buchenmatth) – ISBN 3-880434-460-4
„Das Spiele-Buch“ (Erwin Glonnegger) – ISBN 3-9806792-0-9 (vergriffen)
Diese nicht ganz ernst gemeinte Vorstellung eines Spieler-Typus erscheint im Rahmen unserer Serie „Neues vom SpieltischRand„. Für weitere Folgen suchen wir noch mehr Ideen.
In der Reihe „Neues vom SpieltischRand“ sind bereits erschienen:
#01 Der „Passiv-Spieler“
#02 Der „Denker“
#03 Das „Opfer“
#04 Der „Regel-Erklärer“
#05 Der Würfel
#06 besondere Rezensionen
#07 Der „Alpha-Spieler“
#08 Die Spieldauer
#09 Der „Revisor„
© Oliver Sack, 2018 – Titelbild Fotomontage: Oliver Sack – Alle Rechte vorbehalten. – Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung.